17.09.2019

30 Jahre Friedliche Revolution

Gruppenbild der Zeitzeugen im garten des SVB.
von links: Weigel, Wagner, Oltmanns, Pappermann, Avenarius. 
© Sächsische Staatskanzlei

Aufbruch zu Freiheit und Demokratie in Sachsen

Was war für Sie der dramatischte Moment und wie haben Sie die Zeit damals persönlich erlebt? Genau das wollten rund 80 Gäste am 17. September 2019 bei der Veranstaltung im Sachsen-Verbindungsbüro Brüssel von den vier Zeitzeugen auf dem Podium wissen.

Gesine Oltmanns engagierte sich in verschiedenen Menschenrechts- und kirchlichen Basisgruppen in Leipzig und wurde dafür in Untersuchunghaft genommen. Sie erzählte von den Verhören, der Angst um die Freunde und der Ungewissheit, ob man nach einer Demonstration auch wieder nachhause kommen würde. Detlef Pappermann war Offizier in einer Spezialeinheit der Volkspolizei und gründete dennoch zusammen mit Kaplan Frank Richter die »Gruppe der 20«, als am 9. Oktober 1989 am Dresdner Hauptbahnhof die Situation zu eskalieren drohte. Mit dabei und langjährig in der katholischen Kirche engagiert war Dr. Herbert Wagner. Für ihn war klar, dass die aufgeheizte Situation in Dresden durchaus sehr schlimm hätte enden können, hatten doch alle vom 4. Juni 1989 gehört, als in China die Armee auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Demokratiebewegung blutig niederschlug. 

Die Demonstrationen in Leipzig und Dresden hatten überall Auswirkungen und brachten Menschen auf die Straße. In Werdau leitete zu der Zeit Hansjörg Weigel das christliche Königswalder Friedensseminar und war gerade von einer Demonstration zurück, als nachts um 22 Uhr ein Staatsbeauftragter heftig an sein Fenster klopfte und ihn zu einem Gespräch am nächsten Morgen zitierte. Er fand sich in einer kleinen Runde mit bekannten Gesichtern und Gleichgesinnten wieder, die staatliche Seite wollte von ihnen wissen, wie man die Leute von der Straße bekäme. Die Antwort war zu der Zeit gefährlich deutlich: Erfüllt die Forderungen. Weigel fuhr, wie die anderen auch, allein über eine einsame Landstraße zurück nach Werdau, und glaubte nicht, dass er lebend ankommen würde.

Im Anschluss wurde mit dem Publikum, darunter viele Vertreter der Europäischen, Kommission, des Europäischen Parlaments, dem Europäischen Ausschuß der Regionen, der Ständigen Vertretung von Deutschland bei der EU sowie vieler anderer Landesvertretungen, lebhaft diskutiert.

Am Ende der Seite finden Sie eine Bildergalerie mit Impressionen des Abends.

Kurzportraits unserer Gesprächsgäste:

Gesine Oltmanns (geb.1965)

1983 bis 1989 Mitarbeit in verschiedenen Menschenrechts- und kirchlichen Basisgruppen in Leipzig, deswegen 1989 auch in Untersuchungshaft. Gemeinsam mit Katrin Hattenhauer hatte sie bereits am 4. September 1989 vor der Nikolaikirche ein Transparent mit der Forderung »Für ein offenes Land mit freien Menschen« entrollt. 1990 Angehörige des Bürgerkomitees zur Auflösung des MfS. Bis 1994 Mitarbeiterin in der Außenstelle Leipzig des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Nach Gründung der »Stiftung Friedliche Revolution« 2009 zunächst im Kuratorium und seit 2015 im Vorstand aktiv.

Detlef Pappermann (geb. 1959)

Kriminalhauptkommissar im Landeskriminalamt Sachsen i. R., 1989 Offizier in einer Volkspolizei-Spezialeinheit. Leitete am 8. Oktober 1989, als die Situation nahe dem Dresdner Hauptbahnhof zu eskalieren drohte, gemeinsam mit Kaplan Frank Richter die Gründung der »Gruppe der 20« ein, die nach der heftigen Konfrontation zwischen Polizei und Demonstranten an den Vortagen ins Leben gerufen wurde, um mit der örtlichen Staats- und Parteiführung zu verhandeln.

Dr. Herbert Wagner (geb. 1948)

vormals Entwicklungsingenieur in Dresden und langjährig in der katholischen Kirche engagiert, 1989/90 Sprecher der oben genannten oppositionellen Dresdner »Gruppe der 20«. Von 1990 bis 2001 Oberbürgermeister von Dresden, Präsident des Sächsischen Städte- und Gemeindetages und stellvertretender Präsident des Deutschen Städtetages. Inhaber zahlreicher Ehrenämter, u.a. Vorsitzender des Vereins »Erkenntnis durch Erinnerung e.V.«, dem Trägerverein der Gedenkstätte Bautzner Straße in Dresden.

Hansjörg Weigel (geb. 1943)

Kraftfahrzeugelektriker und Geschäftsführer i. R., 1966/67 Einsatz als »Bausoldat« nach Wehrdienstverweigerung, seit 1968 Mitglied des örtlichen Kirchenvorstandes, in den 70er und 80er Jahren Engagement in unterschiedlichen kirchlichen Friedensinitiativen, 1973 Initiator und Mitbegründer des christlichen Königswalder Friedensseminars, das er bis in die 90er Jahre leitete. 1980 mehrere Monate in Untersuchungshaft wegen »staatsfeindlicher Hetze«. Später langjähriges Mitglied der sächsischen Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche und ebenso langjähriger Stadtrat in Werdau.

Hintergrund:

Entscheidende Momente der Friedlichen Revolution in der DDR ereigneten sich Anfang Oktober 1989 in Sachsen. Trotz drohenden Schießbefehls stellten sich zehntausende Menschen dem SED-Regime mit viel Mut friedlich entgegen, zuerst am 7. Oktober in Plauen, dann am 8. Oktober in Dresden und schließlich am 9. Oktober in Leipzig. Der gewaltfreie Verlauf dieser Demonstrationen verhalf der Protestbewegung im ganzen Land zum Durchbruch. Immer mehr Menschen gingen in den folgenden Wochen auf die Straße, um Freiheit und Demokratie zu fordern. Am 9. November erzwangen sie die Öffnung der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze. Damit legten sie auch den Grundstein für die Wiedererlangung der Deutschen Einheit. In vielen Städten und Gemeinden bildeten sich nun Runde Tische, um die Demokratisierung auf den Weg zu bringen. Anfang Dezember wurden etliche Stasi-Dienststellen besetzt und aufgelöst. An der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 beteiligten sich fast 94 Prozent der Wahlberechtigten. Dies alles wäre niemals ohne die Ereignisse im europäischen Umfeld und die damit einhergehenden weltpolitischen Entwicklungen möglich gewesen. Zu nennen sind vor allem die Freiheitsbewegungen in Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei und im Baltikum, die Reformpolitik Michail Gorbatschows in der Sowjetunion und das Ende des atomaren Wettrüstens.

zurück zum Seitenanfang